
Foto (bearbeitet): Octavian Dan
Corona hat natürlich auch das KMM-Studium stark beeinflusst. Im Sommersemester 2020 drohte beispielsweise ein bei den Studierenden sehr beliebtes Studienelement – das „Projektstudium“ – wegen der Pandemie auszufallen; eine mehrwöchige und enge Projekt-Kooperation mit Kultur- und Medieneinrichtungen war angesichts der strengen Distanz-Regelungen nicht möglich. Die Präsenzstudierenden des 31. Jahrgangs („KMM31“) wollten jedoch trotz „Corona“ nicht auf ein Semesterprojekt verzichten. Also schlugen sie vor, projektweise zu schauen, wie sich Kultur- und Medieneinrichtungen mit den Covid-Auswirkungen zu arrangieren bemühen. Damit er möglichst viele Sparten erfassen kann, formierte der Jahrgang mehrere Projektgruppen: Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Musik, Fernsehen, Film, Digitale Medien, Festivals und Soziokultur.
Die Ergebnisse und Erkenntnisse des von KMM31 eigenständig definierten und ausgeführten Projektstudiums aus dem Sommersemester 2020 können Sie hier nachlesen und nacherleben.
Projekttitel: Zusammenhalt bei Abstand – Soziokultur auf der Brücke zwischen physischer und digitaler Gemeinschaft
Projektmitglieder: Leoni Leitz und Sina Droste
“Soziokultur findet überall statt. Immer wenn sich Menschen treffen. Immer wenn Menschen etwas bewegen wollen.” (Kristina Timmermann; HausDrei, Hamburg)
Zusammenhalt bei Abstand und Abstand als Zeichen von Zusammenhalt. Vor diesem scheinbaren Widerspruch standen soziokulturelle Zentren zu Beginn der Corona-Pandemie. Wie kann die Soziokultur weiterleben, wenn ihr größter Wert, das Miteinander der Menschen, nicht mehr möglich ist? Lässt sich das, was in Soziokulturellen Zentren gelebt wird in den digitalen Raum übertragen?
Um diese Fragen zu beantworten und die Werte der Soziokultur greifbar zu machen, werfen wir einen Blick zurück auf die Anfangszeit und Entwicklung der Soziokultur.
Die soziokulturelle Praxis entstand aus einer Reformbewegung in den 1970er Jahren, die sich gegen die restaurative Kulturpolitik richtete und dem Motto “Kultur für alle. Kultur von allen.” folgte. Diese neue Kulturpolitik legt einen weiten Kulturbegriff zu Grunde und grenzt sich vom früheren engen Kulturverständnis ab. Otto Clemens (HausDrei, Hamburg) beschreibt sein Verständnis von Soziokultur in Abgrenzung zur sogenannten Hochkultur: “Es gibt nicht nur Oper, Shakespeare-Theater und Literatur, sondern auch vieles andere. Kultur ist sehr viel weiter zu verstehen, bis hin zu den Lebensverhältnissen der Menschen, also der Lebensart und der Lebensweise.”
Soziokultur verbindet Gesellschaft und Kultur und setzt sich für Demokratie, Bildung, Austausch und Begegnung ein. Sie entwickelt partizipative Programme und fördert die Mitbestimmung der Individuen. All dies wurde in den 70er Jahren zunehmend von Gruppen gelebt, die sich alte und leerstehende Gebäude zu eigen machten, um dort in selbst geschaffenen Freiräumen ihre Vorstellung von Kultur und Gemeinschaft zu leben. Einige dieser Initiativen etablierten sich und bestehen bis heute als soziokulturelle Zentren fort. Die soziokulturellen Freiräume bieten Kurse und Workshops an und stellen ihre Räumlichkeiten verschiedenen Gruppen und Initiativen zur Verfügung. Zudem findet Kinder- und Jugendarbeit sowie Stadtteils- und Quartiersarbeit statt. Kurz gesagt wird das Zusammenleben hier gemeinsam gestaltet, die ursprünglichen Werte weiterhin gelebt und erlebbar gemacht.
Als Mitte März das kulturelle Leben in Deutschland heruntergefahren wurde, mussten auch die Zentren ihre Arbeit vor Ort einstellen. Es mussten neue Wege gefunden werden, um mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben und das Gemeinschaftsgefühl aufrecht zu erhalten. Nach Corinne Eichner (Stadtkultur Hamburg e.V., Vorstandsmitglied im Bundesverband Soziokultur e.V.) ist besonders die Soziokultur in der Lage sich auf die Suche nach diesen neuen Wegen zu machen, “da Soziokultur (…) auf gesellschaftliche Realität reagiert und versucht gesellschaftliche Realität positiv zu beeinflussen.”
Trotz dieser schwierigen Situation herrscht in der Szene der Soziokultur Optimismus und der Drang aus dieser neuen Situation das Beste herauszuholen. Henriette von Enckevort (Behörde für Kultur und Medien Hamburg) äußerte sich in einem Interview wie folgt zu der Situation: “Was ich sagen kann, ist, dass die Stadtteilkultur sehr kreativ ist. Sie ist sehr lebendig und wird es sich nicht nehmen lassen unter den aktuellen Voraussetzungen Projekte zu entwickeln.” Workshops und Kurse wurden online abgehalten, Nachbarschafts-Telefone eingerichtet, Podcasts produziert oder unterschiedliche Video-Anleitungen zum Basteln online gestellt.
Zur Unterstützung solcher Projekte rief der Fonds Soziokultur kurzfristig das Programm Inter-Aktion ins Leben. Inter-Aktion unterstützt Projekte, die durch neue Formate und Pilotprojekte Soziokultur in kontaktfreien Zeiten ermöglichen. Dieses Ad-hoc-Sonderprogramm unterstützt Projekte der Soziokultur, der kulturellen Bildung, der Medienbildung und der Kunst, die neue Chancen der Zugänglichkeit bei Dezentralität ermöglichen. Mit einem Gesamtvolumen von 250.000 Euro konnten aus den rund 800 Anträgen 75 Projekte gefördert werden. So konnten Tanz- und Zirkusproben online ermöglicht und auch Performances realisiert werden.
Auch außerhalb des digitalen Raums konnten durch das Soforthilfeprogramm Inter-Aktion neue Projekte und Ideen, um den Zusammenhalt zu stärken, entwickelt werden. Mehrere Kooperationspartner riefen das Projekt “MomentMal! – Mobile Geschichtsschreibung in Hamburg Nord” ins Leben, eine Schreibwerkstatt auf einem Lastenfahrrad, welche so die unterschiedlichen Geschichten der Menschen sammelte. An anderen Orten entstanden verschiedene kreative Ideen das Gemeinschaftsgefühl der Soziokultur zu erhalten: Das HausDrei in Altona bot zum Beispiel mit der Wand des guten Lebens einen öffentlich zugänglichen Ort, an dem sich über eine Mauerwand über das Leben, Wünsche und Träume ausgetauscht werden konnte. Vor dem Bürgerhaus in Barmbek entstand ein Kreidebild, an dem alle ihren Gedanken freien Lauf lassen konnten. Kinder schrieben Briefe an Menschen aus ihrem Viertel, um ein wenig Zuneigung und Nähe in die Einsamkeit des Lockdowns zu bringen und das Nachbarschaftsbingo sorgte für etwas Abwechslung und Gemeinschaft in dieser Zeit.
Nachdem eine teilweise Öffnung der Zentren wieder möglich wurde, konnte die Arbeit in den Zentren unter beschränkten Bedingungen wieder aufgenommen werden. “Die offenen Angebote können natürlich nicht ganz wie sonst stattfinden. In der Töpferei dürfen nur 5 Leute statt 15 sein, aber wir müssen uns immer an die Gegebenheiten anpassen und mit dem Arbeiten was möglich ist”, berichtet Kristina Timmermann. DisTanzing, ein Projekt der Honigfabrik in Wilhelmsburg, ermöglichte Tanzen im Freien mit Seilen und Stäben, um den Abstand zu wahren. Zahlreiche Outdoor-Aktivitäten wurden wieder aufgenommen und die Jugendbereiche öffneten wieder für einzelne Besucher:innen oder Gruppen aus dem gleichen Haushalt. Um eben diese teilweise Öffnung der Zentren und die Rückkehr in die neue Normalität zu erleichtern, rief die Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesregierung das Programm Neustart ins Leben, welches vom Bundesverband Soziokultur e.V. durchgeführt wird. Vor allem kleinere Kultureinrichtungen sollen bei der Umsetzung von Umbau- und Ausstattungsmaßnahmen für die Wiedereröffnung unter Schutzmaßnahmen unterstützt werden. An dieser Stelle ist die Kreativität der Soziokultur gefragt. “Kreativität entsteht gerade dann, wenn die Verhältnisse schwierig sind”, fügt Otto Clemens hinzu.
Dennoch ist die Soziokultur dabei zu großen Teilen auf die kurzfristigen Fördermittel angewiesen. Die Anzahl der Anträge für die beiden vorgestellten Förderprogramme zeigt, dass der Bedarf deutlich höher ist als die tatsächlich bereitgestellte Unterstützung. Die Soforthilfe habe im ersten Augenblick gut geholfen finanzielle Engpässe zu überbrücken und Programme zu entwickeln, die Menschen trotz Abstand zusammen bringen, jedoch werde laut Corinne Eichner im Herbst eine “Bugwelle der Liquiditätsprobleme” auftreten. Dennoch ist sie zuversichtlich, dass die Soziokultur in Deutschland gut aufgestellt ist und deren Vielfalt nicht verschwinden wird. Die Gelder helfen digitale Formate auszuprobieren und die Strukturen umzubauen, so dass möglichst bald wieder Begegnung und Austausch in soziokulturellen Zentren stattfinden kann. In einem Aspekt sind sich die genannten Akteur:innen der Soziokultur jedoch einig: Die Soziokultur lebt von den persönlichen Kontakten und dem Zusammenhalt. Das Ausweichen ins Digitale ist eine Übergangslösung, keinesfalls eine Dauerlösung.
Wir bedanken uns bei allen Gesprächspartner:innen, die uns einen Einblick in die soziokulturelle Praxis und ihre Arbeit gegeben haben:
Behörde für Kultur und Medien Hamburg:
Henriette von Enckevort, Referentin für Stadtteilkultur
Simona Köhler, Referentin für Kinder – und Jugendkultur
Otto Clemens, Geschäftsführer
Kristina Timmermann, Kulturveranstaltungen:
Stadtkultur Hamburg e.V. und Bundesverband Soziokultur e.V.
Corinne Eichner, Geschäftsführerin Stadtkultur Hamburg e.V., Vorstandsmitglied im Bundesverband Soziokultur e.V.