Foto (bearbeitet): Octavian Dan
Corona hat natürlich auch das KMM-Studium stark beeinflusst. Im Sommersemester 2020 drohte beispielsweise ein bei den Studierenden sehr beliebtes Studienelement – das „Projektstudium“ – wegen der Pandemie auszufallen; eine mehrwöchige und enge Projekt-Kooperation mit Kultur- und Medieneinrichtungen war angesichts der strengen Distanz-Regelungen nicht möglich. Die Präsenzstudierenden des 31. Jahrgangs („KMM31“) wollten jedoch trotz „Corona“ nicht auf ein Semesterprojekt verzichten. Also schlugen sie vor, projektweise zu schauen, wie sich Kultur- und Medieneinrichtungen mit den Covid-Auswirkungen zu arrangieren bemühen. Damit er möglichst viele Sparten erfassen kann, formierte der Jahrgang mehrere Projektgruppen: Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Musik, Fernsehen, Film, Digitale Medien, Festivals und Soziokultur.
Die Ergebnisse und Erkenntnisse des von KMM31 eigenständig definierten und ausgeführten Projektstudiums aus dem Sommersemester 2020 können Sie hier nachlesen und nacherleben.
Projekttitel: Dokumentationsfilm – Festivals in Zeiten einer Pandemie
Projektmitglieder: Natalja Starosta, Chi-Chung Cheung und Dion Hutter
Wenn wir von Festivals sprechen, können wir ganz unterschiedliche Dinge meinen: Neben kommerziellen Großereignissen existieren Kunst-, Musik- und Theaterfestivals, die der Subkultur zuzuordnen sind, die wiederum teilweise in die Wirtschaft Einzug gehalten haben und eigene Strukturen bilden.
Alternative Festivals sind unserem Begriff nach Teil des subkulturellen Sektors. Subkultur beschreibt unter anderem kleinere künstlerische, soziale und kulturelle Strömungen, die in einigen, aber nicht allen, Aspekten von der vorherrschenden Populärkultur abweichen; durch Subkultur werden neue Anreize geschaffen und Menschen durch neue kulturelle Einflüsse geprägt und weitergebildet.
Neben großen Produktionen von namenhaften Agenturen hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten eine subkulturelle Festivalszene und Open Air Kultur etabliert, die teils ehrenamtlich, teils wirtschaftlich organisiert ist und für viele Menschen einen wichtigen Teil ihres künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Ausdrucks darstellt. Festivals sind Netzwerke, die Akteuer:innen verbinden, Kompetenzen verknüpfen und diverse Disziplinen – Live Musik, Djing, Theater, Performance, Workshops, Lesungen, Film, bildende Kunst, Tanz, Installation, Bildung, Mode, Design, Kulinarik, Architektur, Kulissen- und Bühnenbau, Technologie – miteinander vereinen. All diese Disziplinen werden in Verbindung gesetzt und sprechen in einem interaktiven Komplex. Diese einzigartige Kultursparte näher zu betrachten, mit Akteur:innen ins Gespräch zu gehen und ihnen eine Plattform zu bieten, um ihre Anliegen und Gedanken zu kommunizieren, war unsere Motivation, aus der letztendlich ein Dokumentarfilm entstand.
Doch was macht eine weltweite Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen mit dem subkulturellen Festivalsektor? Die Branche ist angewiesen auf den erfolgreichen Abschluss eines einzigen Events, auf das sich die Planung und Arbeit des gesamten vorhergehenden Jahres zuspitzt. Fällt das Event aus, entstehen direkte Konsequenzen für den Verlauf des nächsten Jahres. Wie gehen Festivalbetriebe und angegliederte Stakeholder mit den Konsequenzen um? Wie wirken sich die Absagen auf die Festivalkultur und alle angegliederten Gewerke aus? Wer wird sich von den Herausforderungen erholen, und wer nicht? Aus diesen Fragen ergab sich der Gedanke, dass der Festivalsektor eine besondere Schützenswürdigkeit besitzt, die unserer Meinung nach nicht ausreichend gegeben ist. Es ist wichtig, die Finanzierung nicht ausschließlich über kurzfristige Anträge zu realisieren, die für den Moment Lücken füllen, sondern eine stabile Grundlage, die durch den Staat abgesichert ist, zu gewährleisten.
Um uns der Thematik zu nähern, haben wir einen Fragenkatalog entworfen, der die wichtigsten Punkte umreißt und haben unterschiedliche Akteur:innen kontaktiert. Es war uns dabei wichtig, ein möglichst diverses Bild widerzuspiegeln, weshalb wir mit Künstler:innen, einer Sicherheitsfirma, Aktivist:innen und Organisator:innen sprachen. Aus den geführten Interviews entwickelten wir einen Dokumentationsfilm, der die Ergebnisse zusammenträgt und die Eckpunkte eines szeneinternen Diskurses skizziert.
In den Gesprächen hat sich herausgestellt, dass die grundlegende Stimmung trotz zeitweise vollständigem Stillstand und dem Absagen des Festivalsommers 2020 gar nicht so negativ ist. Viel mehr wurden in Windeseile Kompensationsmaßnahmen ergriffen, Langzeitprojekte konzipiert und Alternativformen erprobt. Der Festivalkulturbetrieb zeigt sich hierbei als sehr dynamisch und flexibel, indem er schnell auf die gegebenen Umstände versucht zu reagieren und diese, trotz aller Widrigkeiten, für sich fruchtbar zu machen. So wurden beispielsweise Organisationsstrukturen überdacht, die interne Kommunikation- und Arbeitsweise optimiert, das öffentliche Auftreten modernisiert, Vertriebs- und Produktionswege entwickelt und Themen bearbeitet, für welche die Unternehmen im Regulärbetrieb keine Kapazitäten hatten.
Herausgestochen hat in den Interviews auch eine Thematisierung der sozialen und gesellschaftlichen, aber auch künstlerischen Auswirkungen des Lockdowns. Die neuen Formate werden als spannend und innovativ angesehen, die Interviewten gaben jedoch zeitgleich an, sich einen vollständigen Kulturbetrieb mit zumeist digitalen Behelfsmaßnahmen nicht vorstellen zu können. Zu sehr fehle die Nähe, der soziale Kontakt und der direkte zwischenmenschliche Austausch, der solche Events eben auch ausmache und der über das Internet schlicht nicht kompensierbar sei.
Außerdem zeigten sie sich besorgt, dass der Wegfall eines großen kulturellen Sektors nicht nachhaltig im gesellschaftlichen Diskurs verbleibt. Es sei wichtig, auf diese subkulturellen Betriebe aufmerksam zu machen und ihre Arbeit präsenter für die Öffentlichkeit zu zeigen. Dadurch würde die Wertschätzung gegenüber der teils ehrenamtlichen Arbeit von Akteur:innen auf Festivals, auch gesellschaftlich, gesteigert. Im Grundtenor der gesellschaftlichen Debatte muss offenbar werden, dass die Festivalkultur unbedingt förderbedürftig und erhaltungswürdig ist. Festivals sind ebenso wie Theater, Opernhäuser und klassische Konzertsäle mehr als nur Entertainment. Sie haben einen direkten Einfluss auf das Gesamtbild, die Attraktivität und die Wahrnehmung einer Region, da sie mit ihrem individuellen Charakter, ihrem besonderen Ausdruck und dem spezifischen gesellschaftlichen Auftrag zu einer Emanzipation von kulturellen Strukturen beitragen können. Durch den Verlust oder die Einschränkung der Auslebung von subkulturellen Festivals und ihrer Netzwerke verliert letztendlich die gesamte Kulturbranche.
Festivals stehen für viele Menschen für ein Gefühl von Freiheit und Austausch, sie fördern die Jugendkultur und sind als Kultursektor, der sehr stark durch Ehrenamtliche und kleinere, oft nicht ausschließlich finanziell interessierter Betriebe am Laufen gehalten wird, auf Wertschätzung angewiesen.
In diesem Sinne hat uns die Auseinandersetzung mit dem Festivalbetrieb in Zeiten einer Pandemie auf eine viel grundlegendere Problematik in der bestehenden staatlichen Handhabung der Förderung kultureller Projekte gestoßen. Die oft wettbewerbsabhängige Sparte bedarf einer lückenlosen Grundsicherung, um sich autonom und nachhaltig weiterentwickeln zu können. Vielleicht ist das auch die Chance, die zwischen den Verlusten und Herausforderungen durch die Krise, hervor scheint: die Anregung einer Novellierung des etablierten Wirtschaftssystems des Kultursektors, wie sie in den vergangenen Monaten wiederholt durch bekannte Vertreter:innen, wie unter anderem Amelie Deuflhard in Folge 9 des Podcasts „Wie geht´s? Kultur in Zeiten von Corona“ gefordert wurde und an die es nun anzuknüpfen gilt.
Hinweis: Bei dem Dokumentarfilm handelt es sich um ein Arbeitsprojekt mit einer einmaligen Vorführung, welches für die Öffentlichkeit leider nicht zugänglich gemacht werden kann.