
Foto (bearbeitet): Octavian Dan
Corona hat natürlich auch das KMM-Studium stark beeinflusst. Im Sommersemester 2020 drohte beispielsweise ein bei den Studierenden sehr beliebtes Studienelement – das „Projektstudium“ – wegen der Pandemie auszufallen; eine mehrwöchige und enge Projekt-Kooperation mit Kultur- und Medieneinrichtungen war angesichts der strengen Distanz-Regelungen nicht möglich. Die Präsenzstudierenden des 31. Jahrgangs („KMM31“) wollten jedoch trotz „Corona“ nicht auf ein Semesterprojekt verzichten. Also schlugen sie vor, projektweise zu schauen, wie sich Kultur- und Medieneinrichtungen mit den Covid-Auswirkungen zu arrangieren bemühen. Damit er möglichst viele Sparten erfassen kann, formierte der Jahrgang mehrere Projektgruppen: Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Musik, Fernsehen, Film, Digitale Medien, Festivals und Soziokultur.
Die Ergebnisse und Erkenntnisse des von KMM31 eigenständig definierten und ausgeführten Projektstudiums aus dem Sommersemester 2020 können Sie hier nachlesen und nacherleben.
Projekttitel: Was macht ein Orchester ohne Konzerte? Ein Rückblick auf das Jubiläumsjahr der jungen norddeutschen philharmonie
Projektmitglied: Nora Held
Blättere ich einmal durch meinen Terminkalender 2020, fallen schnell 5 rot markierte Zeiträume auf. 2020 war nicht nur irgendein Jahr in meiner Rolle als Vorstandsvorsitzende der jungen norddeutschen philharmonie (jnp). Nein, die jnp feiert ihr zehntes Jubiläumsjahr und wir hatten natürlich fünf große, laute und bunte Orchesterprojekte geplant. Im Januar fiel mit #epicnewyear der Startschuss und kein Stück wäre für diesen Anlass besser gewesen als Leoš Janáčeks Sinfonietta mit 13 Trompeten auf der Bühne.
Kurze Zeit später breitete sich die Corona Pandemie weltweit mit rasender Geschwindigkeit aus und Orchesterprojekte, bei denen 100 Musiker:innen auf 12×14 Meter Bühnen konzertieren und auf Luftmatratzen in Klassenzimmern schlafen, sind auf unbestimmte Zeit undenkbar geworden. So wurde unser jnp-Jahr 2020 schlagartig von einer knalligen Geburtstagsparty zu einem nachdenklichen Blick in den Rückspiegel.
Nach den ersten Projektabsagen kam das Team virtuell zusammen. Diese Form der Zusammenarbeit waren wir schon gewohnt, da sich unsere Wohnorte über ganz Deutschland erstrecken. Trotzdem war die Aufregung groß: „Wo bist du denn jetzt gerade?“ „Hmm, ja auch erstmal bei Mama und Papa.“ „Ich weiß nicht, was ich den ganzen Tag machen soll, aber mein Instrument üben macht einfach keinen Sinn. Wofür denn?“
Nach einem sehr ausführlichen Stimmungsaustausch kamen wir auf die jnp zu sprechen und es wurde schnell klar: Niemand weiß, wann unsere großen Projekte wieder möglich sind. Also mussten neue Ideen her und wir ein paar Gänge hochschalten, um das Jubiläum nicht einfach verstreichen zu lassen. Hier ein kleiner Einblick in vier der vielen entstandenen Projekte:
hinter der bühne – Der Podcast der jnp
Gleich bei unserem ersten großen Zoom-Meeting brachte jnp-Tubist Thomas die Idee ein, einen Podcast unter dem Label der jnp zu veröffentlichen. Unsere Harfenistin Teresa, die mit großer Leidenschaft den Comedy-Podcast „Gemischtes Hack“ hört, war sofort dabei. Inspiriert von ihren Podcast-Vorbildern entwickelten die beiden ein „Laberformat“ und setzen sich mit unterschiedlichen Themenfeldern klassischer Musik auseinander. Mit „hinter der bühne“ wollen die beiden sowohl für „Nicht-Klassiker“ einen Zugang in ihren Alltag schaffen und gleichzeitig ihre Kommiliton:innen erreichen. Das Projekt ging mit Vollgas los, die beiden nahmen eine erste Folge auf, ich lernte kurzerhand mit einem Schnittprogramm umzugehen. Mittlerweile sind 13 Folgen online und nach einer Sommerpause geht es am 23.08. weiter. Hören Sie gerne mal rein, zum Beispiel in die Folge mit Trompeter Simon Höfele.

1to1 concerts
Besondere Zeiten erfordern besondere Ideen – wie kann Livemusik trotz strengsten Abstandsregelungen stattfinden? Die 1to1 concerts ermöglichen eine einzigartige, zehnminütige Begegnung zwischen genau einer Musiker:in und einer Zuhörer:in. Mit Startpunkt in Stuttgart und Musiker:innen der dort ansässigen Staatsoper und des SWR Sinfonieorchesters schlossen sich viele Orchester der bundesweitern Aktion an. Die eingenommenen Spenden kommen dem Nothilfefonds für freischaffende Musiker:innen der Deutschen Orchesterstiftung zugute. Seit einigen Wochen beteiligt sich die jnp in den Städten Hannover und Hamburg an den 1to1 concerts. Einen Konzerttermin können Sie hier buchen.

jnp-Semester
Neben dem gemeinsamen Musizieren war es bei der jnp schon immer üblich, sich intensiv zu den unterschiedlichsten Themen auszutauschen. Auf den Projekten wurden verschiedene Workshops durchgeführt und Gäste für Impulsvorträge eingeladen. Besonders in den letzten Monaten, in denen viele Musiker:innen alleine mit ihrem Instrument waren, war das Bedürfnis nach Austausch und neuen Inhalten immens. Durch das jnp-Semester wurde ein wöchentliches Angebot an vielseitigen Webinaren, Impulsvorträgen und Gemeinschaftsaktionen geschaffen. Vom gemeinsamen Erstellen der ultimativen Motivationsplaylist mit abschließender Zoomparty bis hin zum kulturpolitischen Diskurs mit Gerald Mertens und Kirsten Haß war alles dabei. Informiert wurden die Musiker:innen und weitere Interessierte über einen wöchentlichen Newsletter.

Jubiläumstour
Während ich diesen Text schreibe sitze ich auf der Rückbank eines Ford Transit und fahre mit einem kleinen Team durch den Norden Deutschland. 15 Tage bin ich dabei, bei der fünfwöchigen Jubiläumstour der jnp. Nach zehn Jahren Vollgas genießen Geschäftsführer Konstantin und ich die Chance, mit Wegbereiter:innen, Musiker:innen und einigen Alumni zurückzublicken. Nach den Monaten des Social Distancings tut es besonders gut, den drei Gründern stundenlang beim Erzählen des Gründungsmythos zu lauschen, mit Komponist und Dirigent Wolf Kerschek zu quatschen, warum er so gerne mit der jnp arbeitet oder von Alumna Carolin Gass zu hören, was sie von der jnp in ihren Job als Musik- und Biolehrerin mitnimmt. Die Tragweite der jnp haben wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht so groß ausgemalt. Uns wird vielfach zugeschrieben Rollenvorbild, Inspirationsquelle und Ermöglicherin zu sein, was für ein wunderbares Feedback. Hier finden Sie einen kleinen Teaser.

Nach dem Blick in die jnp-Vergangenheit richten wir unseren Fokus auf die nächsten Jahre. Corona hat für einen Einschnitt in der Kulturlandschaft gesorgt und wir wissen nicht, wann ein Projekt mit voller Orchesterbesetzung wieder möglich sein wird. Wir wollen die Zeit nutzen, um die Buntheit und Vielfalt der jnp weiter zu verstärken. Es hat sich der ideale Zeitpunkt geboten, um mit den Vorwürfen gegenüber des vermeintlich eingeschlafenen Klassikbetriebs aufzuräumen, Routinen zu hinterfragen und Neues zu probieren.
Ich bin gleichermaßen stolz und dankbar, Teil dieses wunderbaren Projekts zu sein und an dieser Stelle geht mein besonderer Dank auch an Prof. Dr. Friedrich Loock und Tom Zimmermann, die mir ermöglicht haben, meine Tätigkeit bei der jnp im Rahmen des Projektstudiums einzubringen.
