“Çok yaşayan bilmez, çok gezen bilir.”
(Nicht der, der lange lebt, sondern der viel gereist ist, hat Wissen.)
-türkisches Sprichwort-
Vom 11. bis 15. Mai 2015 machten wir uns – eine Gruppe von ca. 50 Studierenden des KMM Präsenz- und Fernstudiums mit Institutsleiter Prof. Dr. Friedrich Loock – auf nach Istanbul zur diesjährigen Studienreise. Istanbul: Eine Stadt der Widersprüche, voller Schönheit und einem bunten Leben, um für Jede und Jeden der Mitgereisten den Aufenthalt unvergesslich zu machen. Die Reise führte uns zu den unterschiedlichsten Institutionen aus den Bereichen Kultur & Politik wie dem Deutschen Generalkonsulat, der Friedrich-Naumann-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Sabanci Foundation, zur Bilgi Universität sowie in ein kleines Atelier einer Video-Künstlerin.
Nahe des Taksim-Platzes und Gezi-Parks trafen wir den Referenten für Kultur und Presse des Deutschen Generalkonsulates zu einem Gespräch über die generellen Aufgaben des Generalkonsulates, den Weg in den diplomatischen Dienst, aber auch die aktuelle politische Lage in der Türkei und im Nahen Osten. So erfuhren wir zum einen, dass das Generalkonsulat die Aufgaben eines deutschen Bürgeramts wahrnimmt – das diplomatische Zentrum ist die Hauptstadt Ankara – aber auch Gastgeber für Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen ist. Zum anderen sprachen wir über den Umgang der Regierung mit kritischen Journalisten sowie die Auswirkungen des IS-Konflikts auf die Stadt selbst sowie auf das restliche Land. Im Anschluss an das Gespräch durften wir das Gebäude des Generalkonsulats, einst als Botschaft errichtet, besichtigen und die Architektur des späten 19. Jahrhunderts ebenso wie die atemberaubende Sicht über den Bosporus auf die asiatische Seite Istanbuls bewundern.
Aufgeteilt in kleinere Gruppen hatten wir in Istanbul außerdem die Gelegenheit verschiedene Stiftungen zu besuchen. Zur Wahl standen die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Sabanci-Foundation. Die FDP-nahe Naumann-Stiftung hat ihr Istanbuler Büro unweit des Taksim-Platzes. Dort trafen wir uns zum Gespräch mit einem deutsch-türkischen Mitarbeiter. Er gab uns einen kurzen Überblick über die Kernziele der Stiftung und stellte uns einige Projekte vor, die von der Istanbuler Dependance unterstützt werden. Eines davon ist P24, eine Plattform für unabhängigen Journalismus, deren Initiatoren sich für die freie Berichterstattung in der Türkei engagieren. Angesichts der bevorstehenden Parlamentswahl in der Türkei interessierte uns auch die Einschätzung der deutschen Stiftungen zur politischen Stimmung im Land – besonders seit den Gezi-Protesten im Jahr 2013. Sie beobachten die Situation in der Türkei in politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht und veröffentlichen auf ihren Websites regelmäßig Berichte über die Lage im Land.
Zu den derzeitigen Machtverhältnissen im Parlament und möglichen Veränderungen nach der Wahl konnten wir bei der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Menge erfahren. Die SPD-nahe Stiftung befindet sich im Stadtteil Besiktas, etwas abseits des historischen Zentrums, auf der europäischen Seite der Stadt. Nach kurzer Suche des richtigen Gebäudes wurden wir vom Leiter der Stiftung, Alexander Geiger, empfangen und in den Sitzungsraum der Stiftung geführt. Funktional, schlicht und zweckorientiert präsentiert sich die Stiftung in Istanbul – die effektive Nutzung der Mittel, betont Alexander Geiger, ist die Grundlage einer erfolgreichen Stiftungsarbeit. Die Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, Sozialdemokratische Ideale und Politik zu fördern, arbeitet in Istanbul in drei Schwerpunktbereichen. Vertiefung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit, Entwicklung zu einer nachhaltig prosperierenden Wirtschaft in einer sozialgerechten Gesellschaft sowie die Intensivierung und Versachlichung der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU bzw. Deutschland sowie der Nachbarstaaten stehen übergeordnet im Zentrum der Arbeit. Seit letztem Jahr wird „leider“ auch wieder zum Thema Meinungsfreiheit gearbeitet, aufgrund von aktuellen Repressionen gegenüber Journalisten und Medien. Aktuelle Geschehnisse in der türkischen Gesellschaft und in der Politik werden von der Stiftung beobachtet und es wird versucht in Programmen, die in Kooperation mit lokalen NGOs vor Ort umgesetzt werden, Aufklärung zu betreiben. Durch unterschiedliche Akteure wird so gesichert, sich nicht vereinnahmen zu lassen und unabhängig zu bleiben. Auch eine inhaltliche Kontrolle aus Deutschland gibt es nicht und so können die Stiftungsexperten vor Ort die Themen gestalten, zu denen gearbeitet wird. Tagungen und Konferenzen bilden einen weiteren Arbeitsschwerpunkt. Nach einer regen Diskussion zum Wahlsystem, der politischen Veränderungen der letzten Jahre und mit einem Ausblick auf die in Kürze stattfindenden Wahlen verließen wir die Stiftung mit dem Gefühl, die komplexe politische Situation und Landschaft in der Türkei etwas besser einordnen zu können.
Der Besuch der privaten Bilgi Universität führte die KMM-Gruppe an zwei Nachmittagen zum santralinstanbul – einem grünen Campus am Goldenen Horn. Auf dem ehemaligen Gelände des ersten Istanbuler Elektrizitätswerks wurden wir von Dozenten des türkischen Pendants unseres Studienganges empfangen: Prof. Dr. Deniz Ünsal und Dr. Gokce Dervisoglu Okandan. Das seit 1999 etablierte Institut für Kunst- und Kulturmanagement bietet drei Bachelorstudiengänge und einen englischsprachigen Masterstudiengang und ist das einzige seiner Art in der Türkei, aber laut Dozentin Ünsal auch ausreichend für den kleinen Arbeitsmarkt Kultur. Nach einer Vorstellungsrunde stellte die Dozentin kurz die Struktur des Instituts vor, dann sprachen wir vor allem über den Masterstudiengang. Für diesen kommen Interessierte aus der ganzen Welt, um an drei Tagen in der Woche in englischer Sprache die Kunst hinter der Bühne zu studieren. Dabei setzen sie sich mit den Bedingungen der Kunstproduktion auseinander und wie am KMM auch spielen Praxisprojekte eine große Rolle. Sogar die Masterarbeit kann in Form eines Projektes beispielsweise einer Ausstellung erfolgen. Die Dozentin erzählte darüber hinaus von der überschaubaren Istanbuler Kunst- und Kulturszene und gab einen Überblick über sich kulturell entwickelnde Stadtteile wie Beyoğlu, Karaköy und Kadıköy. Ebenso verglichen wir die private und öffentliche Kulturförderung in der Türkei und Deutschland und sprachen über die Auswirkungen politischer Entwicklungen auf den Universitätsalltag. Mit zahlreichen Tipps und einigen Andenken ausgestattet verabschiedeten wir uns und konnten mit dem Universitätsshuttle wieder an den Bosporus zurückkehren.
Am Freitag besuchten wir die Video-Künstlerin Özlem Şimşek. Gemeinsam mit ihrem Mann, der selbst Fotograf ist, betreibt sie ein Atelier im Stadtteil Beyoğlu. In ihren Arbeiten beschäftigt sich die Künstlerin vor allem mit der Rolle der Frau. Dabei steht sie zumeist selbst Modell, wie beispielsweise in der Reihe “Selfportrait as Modern Turkish Art”. In dieser inszeniert sie sich als Frau moderner türkischer Gemälde, die aus ihrer Starrheit ausbricht. Ihre kritische und oft provokative Herangehensweise war besonders interessant zu erleben. Dabei konnten wir auch viele persönliche Fragen stellen. Özlem Şimşek hat bereits u.a. in der Türkei, in Deutschland und in Dubai ausgestellt.
Für den Großteil unserer Gruppe war der Besuch bei Özlem der letzte Programmpunkt und damit ein gelungener Abschluss unserer spannenden Reise nach Istanbul.
Die Gruppe erlebte die Stadt, in der er es mehr christliche Kirchen als Moscheen gibt, zum einen als einen Schmelztiegel der Kulturen wie zum Beispiel in der „AyaSofya“, aber auch als einen Ort, an dem der muslimische Glauben dominiert und gelebt wird. Vom Weckruf des Muezzins bei Sonnenaufgang bis hin zum letzten Ruf für das Abendgebet war die Religion und die damit verbundene Kultur überall zu sehen, zu hören und zu spüren. Die beeindruckenden Panorama der Stadt werden noch lange im Gedächtnis bleiben, die mitgebrachten Süßigkeiten und Gewürze vom Bazar genascht. Auch die Betten des Hostels werden wir so schnell nicht vergessen und lassen uns daran erinnern, dass wir nicht für immer Kinder im „Neverland“ bleiben, sondern doch schon etwas älter sind…